„Nur Rentner nehmen so viele Tabletten“

Jung und chronisch krank mit Morbus Crohn: Ein Interview

Profile picture
Celine

Als Teenager bekam Celine die Diagnose Morbus Crohn – eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung. Sie bloggt auf "Morbus Crohn und ich" über Leugnung und Verständnis, Medikamente und OPs, Selbstmitleid und Selbstbewusstsein. Wir fragten sie, wie es ist, als junger Mensch mit einer chronischen Erkrankung umzugehen. Danke, Celine, für diese Einblicke.

MyTherapy: Du warst erst 17, als bei dir Morbus Crohn festgestellt wurde. Eine chronische Krankheit ist bestimmt für viele Menschen schwer zu akzeptieren, aber besonders in einem jungen Alter. Konntest du deine Diagnose gleich akzeptieren?

Celine: Ehrlich gesagt wusste ich damals nicht mal was „chronisch“ überhaupt bedeutet. Ich hatte mich noch nie mit der Thematik Krankheiten auseinandergesetzt. Es gibt Krankheiten, von denen auch jeder in dem Alter schon mal gehört hat. Morbus Crohn gehört definitiv nicht dazu. Ich nahm ab dem Zeitpunkt der Diagnose Medikamente, aber ich verdrängte das ganze Thema extrem und sah mich selber nicht als ernsthaft krank.

Wie haben deine Freunde auf deine Diagnose reagiert?

Da erinnere ich mich leider nicht mehr richtig dran. Ich weiß, dass ich die Krankheit damals nicht erklären konnte und auch kein Interesse daran hatte. Aber erzählt habe ich es mit Sicherheit. Ich weiß, dass ich es meinen Lehrern damals bezüglich der vielen Fehltage persönlich erzählt habe.

Mit der Zeit kamen einige Situationen, in denen ich mir mehr Verständnis und Interesse gewünscht hätte. Andererseits verstehe ich, dass junge Menschen andere Interessen und Sorgen haben.

Haben sich deine Freundschaften nach deiner Diagnose verändert?

Ja, leider sind einige Freundschaften zerbrochen. Es fehlte häufig das Verständnis, wenn ich Verabredungen kurzfristig absagen musste oder keine festen Aussagen treffen konnte. Ich glaube, vielen war nicht bewusst, dass es nicht nur Bauchschmerzen und Durchfall sind – was theoretisch ja Grund genug ist.

Es passiert aber zum Beispiel auch psychisch recht viel. Darüber habe ich aber auch nie gesprochen. Jetzt bin ich aber auch froh, dass es so gekommen ist, wie es ist. Ich habe unfassbar tolle Menschen an meiner Seite, die möchte ich nicht mehr missen.

Wie können Freunde am besten damit umgehen, dass es dir manchmal schlecht geht?

Ein gutes Gleichgewicht ist ganz wichtig. Ich bin kein anderer Mensch nach der Diagnose. Ich bin dieselbe Celine, die ich auch vorher war, ich gehe nur mit Situationen anders um.

In Phasen, in denen es mir schlecht geht und die Leute das wissen, möchte ich nicht jeden Tag gefragt werden, wie es mir denn heute geht. Wenn es mir besser geht, erzähle ich das von allein und über schlechteres Wohlbefinden spreche ich, wenn ich es möchte. Wenn ich diese Frage in so einer Phase lese oder höre weiß ich oft nicht zu antworten – man möchte weder Jammern noch Lügen.

Wie gehen fremde Menschen damit um, wenn du ihnen erzählst, dass du eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung hast?

Oh, das ist ganz unterschiedlich. Von großem Interesse bis hin zu erniedrigenden Sprüchen wie „Du bist zu jung, um ernsthaft krank zu sein“ oder „Nur Rentner nehmen so viele Tabletten“ ist wirklich alles dabei. Inzwischen habe ich denselben Monolog, den ich neuen Leuten erst mal vortrage. Je nachdem, wie das Gegenüber dann reagiert erzähle ich mehr oder halt auch nicht.

Zur Zeit habe ich ein tolles, verständnisvolles Umfeld auf der Arbeit und in der Berufsschule. Ich denke, dass sich das in neuen Umfeldern in der Zukunft ändern kann, aber da stehe ich drüber und kommuniziere meine Krankheit offen, das hilft allen Beteiligten am meisten. Wenn mich jemand fragt, wieso ich so lange auf Toilette war, rede ich nicht mehr um den heißen Brei herum, sondern sage die Wahrheit.

Meinst du, dass du dich im Vergleich zu deinen Altersgenossen wegen Morbus Crohn anders entwickelt hast? Hat das auch positive Seiten?

Ja, ich denke ich schätze das Leben in manchen Aspekten mehr. Das klingt oft sehr abgehoben, aber ich kenne das Leben ohne Bauchschmerzen und Durchfällen nicht mehr richtig. Wenn ich dann mal einen Lauf von guten Tagen habe, weiß ich das sehr zu schätzen. Ich glaube auch, dass ich teilweise reifer denke und handle – das ist aber keines Falls immer positiv. Oft wäre ich gerne lockerer und würde mir nicht so viele Gedanken um bestimmte Gegebenheiten machen.

Hat deine Diagnose deine Beziehung mit Familienmitgliedern strapaziert, weil sie sich um dich kümmern wollten, in einem Alter, in dem man nach Unabhängigkeit strebt? Wie seid ihr damit klargekommen?

Da würde mich die Meinung von meinen Eltern interessieren, die sehen das ja nochmal aus einem ganz anderen Blickwinkel. Ich bin heute dankbar, wie sehr meine Eltern sich gekümmert haben. Damals war das Problem für mich eher, dass ich von dem ganzen Morbus Crohn Thema nichts wissen wollte, da habe ich oft auf Durchzug geschaltet und mir Infos, die meine Mama rausgesucht hat, nie angesehen. Das tut mir inzwischen leid, weil ich weiß, dass sie mir helfen wollte. Auch jetzt sind meine Eltern immer für mich da, organisieren Medikamente und begleiten mich zu Terminen. Das weiß ich sehr zu schätzen.

Fühlst du dich durch Morbus Crohn eingeschränkt? Wie kämpfst du dagegen an?

Mehr oder weniger. Das kommt auf den Tag und die Situation an. Wie eben schon erzählt, denke ich über manche Sachen mehr nach als andere. Ist eine Toilette vor Ort? Was, wenn ich im Reisebus plötzlich auf Toilette muss? Werde ich der Arbeit auf der Geschäftsreise gerecht? Bremse ich die anderen aus? All das sind Fragen, die ich mir oft stellen muss. Aber das ist okay und bisher habe ich immer eine Lösung für alles gefunden. Ich kann nur immer wieder sagen: Offen mit der Situation und den Ängsten umzugehen ist am effektivsten.

Hast du Tipps, wie jemand mit der unsichtbaren Krankheit eines Freundes umgehen sollte?

Na klar. Eigentlich müsste ich hier jetzt meine beste Freundin beschreiben, die macht das Ganze von Anfang an perfekt. Aber ein guter Freund ist da, wenn man Party machen möchte und genauso, wenn man nach dem ersten Schluck Alkohol Bauchschmerzen bekommt und so aus einer Nacht, in der man durchtanzen wollte, ein Filmabend wird. Ein guter Freund hält die Hand in schweren Zeiten, hört zu und heitert mit kleinen Gesten auf.

MyTherapy App bei Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa

MyTherapy – der digitale Überblick über Ihr Wohlbefinden bei CED

Mit der Fortschritt Funktion sehen Sie auf einen Blick, wie sich Ihre erfassten Blutwerte, Ihre Stimmung und Ihr Gewicht im letzten Monat verändert haben. Seite an Seite mit den graphisch dargestellten Medikamenteneinnahmen und Aktivitäten können Sie die Zusammenhänge mit Ihren Werten leichter erkennen und entsprechend handeln.