Evozierte Potenziale – eine Erklärung

Elektrizität in den Nervenbahnen

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Lisa
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Wenn Sie buchstäblich unter Strom stehen. Die Leitfä­higkeit von Nerven­bahnen kann im Rahmen einer ärzt­lichen Untersuchung durch das Setzen von geziel­ten elektrischen Signalen oder anderen Sinnes­reizen gemessen werden. Das klingt ein wenig nach Natur­wissenschafts­unterricht in der Schule, ist aber neurophy­siologische Praxis. Lesen Sie hier, was man unter evozierten Poten­zialen versteht und wie man sie misst.

„Evoziert“?

Das Wort kommt aus dem Latein­ischen („evocare“) und bedeutet „hervor­rufen“. Sagen wir also, dass „evozieren“ in unserem Beispiel heißt, dass durch das Stimu­lieren der Nerven absicht­lich eine Reaktion provo­ziert werden soll. Grund dafür: Auf diese Weise fin­det Ihr Arzt heraus, ob und wie schnell Ihre Nerven eigent­lich arbeiten.

Das bedeutet: Evozierte Potenziale (EP) heißen die im Rahmen einer neuro­physio­logischen Untersu­chung gezielt ausgelösten elektri­schen Phäno­mene, mit deren Hilfe die Leitfä­higkeit von Nerven­bahnen getestet werden kann.

Das Prinzip der Messung evo­zierter Potenziale

Ein Sinnesorgan oder ein peri­pherer Nerv wird gezielt durch das Setzen von Impulsen gereizt. Anschlie­ßend wird das ausgelöste Po­tenzial in den verarbeitenden Re­gionen des Nerven­systems beobachtet. Durch die Stimu­lierung eines Sinnes­organs soll eine Reizant­wort durch die verarbei­tenden Regionen ausge­löst werden, die als Potenzial von ihnen abgeleitet werden kann. Beispiels­weise bei einer demyelinisierenden (Schutzschicht der Nerven ist geschädigt) Krankheit wie der Multiplen Skle­rose wird die Weiter­leitung des Impulses verlangsamt – bis es zur Reizant­wort kommt, dauert es länger.

Die Messung Evozierter Potenziale (EP)

Diese erzeugten Phänomene führen zu Potenzial­änderungen, die durch eine Elektroenzephalografie (EEG) erkennbar werden. Das ist eine Untersuchungs­methode, mit der Ärzte elektrische Aktivität sichtbar machen, um Rückschlüsse auf verschiedene Krankheiten ziehen zu können.

EEG: Ein Routine-EEG verläuft stets gleich. Der Patient bekommt eine Haube, an der Messelektroden befestigt sind und nimmt sitzend oder liegend eine entspannte Position ein. Um die Hirn­ströme messen zu können, werden die Elektro­den mit einem Kontaktgel bestrichen und so auf der Kopfhaut angebracht – eine Rasur der Haare ist aber nicht nötig, allerdings sollten diese frisch gewa­schen und frei von Styling-Produkten wie Haargel etc. sein. Alternativ können Elektroden zur Messung von elektrischen Poten­zialen auch an Armen oder Beinen befestigt sein.

Die Elektroden sind mit einem Monitor verbunden, auf dem die elektrischen Muster als Wellen sichtbar werden. Der Arzt analysiert und bewertet die Anzahl der Wel­len und die Höhe bzw. Tiefe (Amplituden). Eine reizun­abhängige Aktivität strebt gegen Null, während das reizbe­zogene evozierte Potential in den Ampli­tuden sichtbar wird.

Diese evozierten Potenziale gibt es:

VEP

Visuell evozierte Poten­ziale helfen, die Funktion von Sehnerven und der Sehbahn zu analysieren. Besonders in der Diagnostik der Sehnervent­zündung (Optikus-Neuritis) bei Multipler Sklerose. Während einer beispielhaften Unter­suchung sieht sich der Patient ein, auf einem Monitor abgebil­detes digitales Schachbrett­muster an. Dieses Muster ändert in Sekundenab­ständen seine Farben (schwarz wird zu weiß und umgekehrt). Gemessen wird die Geschwin­digkeit der Reiz­übertragung vom Reiz bis zur Wahrnehmungs­verarbeitung im Gehirn.

Wann VEP angewendet wird: Verlaufskontrolle bei Multipler Sklerose

(F)AEP

(Frühe) akustisch evozierte Poten­ziale helfen bei einer Einschätzung der zentralen und peripheren Hörbahn und werden bei Erkran­kungen des Hör­nerven und des Hirn­stamms eingesetzt. Der Patient hört sich über einen Kopfhörer Töne an. Gemessen wird die Geschwindigkeit der Reizüber­tragung im akustischen System des Hirn­stamms.

Wann AEP angewendet wird: Eine Vermu­tung auf eine Entzündung des Hör­nervs o.Ä. liegt nahe

SEP

Somato­sensibel evozierte Potenziale gestatten eine Beurtei­lung der zentralen empfindungsfähigen Leitungsbahn und Nerven der Sinnesorgane durch elektrische Impuls­setzung. Über eine Stimulations­elektrode am sensiblen Nerv werden sich wiederholende elektrische Reize verursacht. Klassische Nerven, die sich gut für eine solche Stimu­lation eignen sind der Nervus tibialis am Bein oder der Nervus medianus an der Hand sowie ein Gesichtsnerv. Gemes­sen wird die Dauer der Reizübertra­gung bis zum Gehirn oder Rückenmark.

Wann SEP verwendet wird: Bei sen­siblen Störungen bzw. Nervenschä­digungen durch z.B. Entzündungen, Traumata oder Tumore

MEP/TMS

Motorisch evozierte Potenziale ermög­lichen es, in der Diagnostik insbesondere den Funktions­zustand des motori­schen Systems zu bestimmen, welches für die Aus­führung von willkür­lichen Bewegungen zuständig ist. Sie werden bei Erkrankungen des motorischen Systems, wie der amyo­trophen Lateral­sklerose (ALS) und der Multiplen Skle­rose (MS), eingesetzt. Über einen Mag­netstimulator wird ein kurzer magne­tischer Impuls über eine Spule am Kopf und an der Wirbelsäule gesetzt. Der Mag­netimpuls stimuliert Gehirn oder Nerven nahe der Wirbel­säule. Das führt zu einer moto­rischen Antwort in einem Muskel. Und eben­diese Antwort wird über Klebe­elektroden aufgezeichnet und an einen Bild­schirm projiziert, um die Geschwin­digkeit der Reiz­übertragung an­alysieren zu können. Diese Unter­suchung darf bei Trägern und Trägerinnen von Herz- oder Hirn­schrittmachern nicht durch­geführt werden.

Wann MEP/TMS verwendet wird: Bei zentralen und peri­pheren Nervenschä­digungen wie der Amyo­trophen Lateral­sklerose (ALS) und der Multiplen Skle­rose (MS)

Zusammengefasst

Potenzial-Unterschie­de innerhalb des zentralen Nerven­systems, die durch die Rei­zung eines Sinnes­organs oder peri­pheren Nerven ausgelöst werden, werden durch eine EEG-Unter­suchung sichtbar gemacht. Je nachdem wel­ches System gereizt wird, spricht man von visuell, akustisch, somato­sensibel oder motorisch evozierten Potenzialen. Evo­zierte Potenziale spielen in der neuro­logischen Diagnostik eine zentrale Rollen, wenn man mehr über die Funk­tionsfähigkeit der Nerven in Erfah­rung bringen möchte.


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